Ausstellungszeit: 1.Mai bis Mitte Oktober
Japanische Zwergbäume in sächsischer Tradition
Als sich die Pforten der III. Internationalen Gartenbauausstellung 1907 in Dresden schlossen, hatten eine Viertel Million Besucher die Beiträge von 331 Ausstellern aus dem In- und Ausland gesehen. Dem staunenden Publikum bot sich auch etwas völlig Neues: “ Die Zwergbäume der Japaner“. Etwa 20 Bonsais waren in einem japanischen Garten um einen Weiher herum gruppiert. Als Hintergrund diente ein vom Dresdner Hoftheatermaler Rieck erstelltes Wandgemälde mit Japanischem Haus, Pagode, Tori, Gartenlaternen etc., so dass der wirkliche in den gemalten Hintergrund fließend und kaum erkennbar überging.
Diese Ausstellung jährt sich nun zum hundertsten Male. Das Ausstellungsgelände von damals existiert nicht mehr. Heute steht auf dieser Fläche die gläserne VW- Manufaktur. So soll die Jubiläums-ausstellung vom 15. bis 17. Juni 2007 in den festlichen Räumen des Landschlosses Pirna- Zuschendorf stattfinden.
Im Garten des Schlosses sind heute die Zierpflanzensammlungen des Freistaates Sachsen (Kamelien, Azaleen, Hortensien, Efeu, Bonsai u.a.) untergebracht und werden unter Leitung des Botanischen Instituts durch die Botanischen Sammlungen der TU Dresden erhalten.
Sieben Freunde, die am Anfang der Bonsai – Neuzeit in der DDR, Ende der 70-er, Anfang der 80-er Jahre, fasziniert mit der Gestaltung von Bäumen en miniature begannen, treffen sich nun nach einem Vierteljahrhundert wieder und wollen zeigen, wie die Zeit ihre Bäume ehrwürdig und schön machte. Es sind Sammler aus Thüringen, Brandenburg und Sachsen, fast ausschließlich Gärtner oder Baumschuler von Beruf.
Gezeigt werden auch Pflanzen von Wilhelm Elsner, der als erster im Osten eine private Sammlung anlegte, die Bonsaiproduktion in Dresden und Berlin maßgeblich initiierte und auch das erste Bonsaibuch schrieb.
Mit dabei ist auch ein Chinesischer Wacholder, den der Kapellmeister der Sächsischen Staatskapelle, Herr Prof. Kegel, Anfang der 80-er Jahre von einer Tournee aus Japan mitbrachte. Er gab die damals 60- jährige Pflanze 1983 Herrn Elsner in Pflege. Letzterer kaufte sie später von der Witwe des verstorbenen Prof. Kegel und schenkte sie unseren „Botanischen Sammlungen“. Diese Pflanze war immer der Star auf den Ausstellungen der DDR. Jeder von uns Anfängern, deren Pflanzen oft nur bleistiftstarke Stämmchen hatten, träumte von solch einem Exemplar. Nun soll es also ein Wiedersehen geben.
Jeder der 7 Aussteller sucht sich seine liebsten Stücke selbst heraus, die er zeigen möchte. Präsentiert werden sie in den Schlossräumen auf Lärchenholzböden und mit japanischem Papier bespannten Wänden als Hintergrund. Zur Ausstellung wollen wir auch einen ausführlichen Blick in die Historie tun. Das soll Thema dieses Aufsatzes sein.
Einhundert Jahre Bonsaiausstellungen in Deutschland – das wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie wurden diese Pflanzen überhaupt in unserem Land bekannt? Was wusste man über die gärtnerischen Kulturtechniken? Wie reagierte man auf ästhetische Fragen? Wie entwickelte sich das Ausstellungswesen? Wann gab es den ersten wirklichen Bonsai in Deutschland? Alles Folgende entspricht dem heutigen Kenntnisstand der Autoren. Keinesfalls wird Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
Um uns den oben genannten Fragen zu stellen, reichen 100 Jahre längst nicht mehr aus. Es gibt heute eine über 300- jährige Bonsaigeschichte.
Wie so oft im Gärtnerischen begann alles im sächsischen Dresden. Kurfürst August der Starke war von allem, was aus Ostasien kam – damals als indisch oder chinesisch bezeichnet – fasziniert. Er stellte sich China als Paradies vor und wollte am liebsten herrschen, wie der Kaiser von China. Das vermochte er nicht, aber er versuchte sich soviel wie möglich aus diesen fernen Ländern nach Sachsen zu holen. Zuerst denken die Leser immer an das Meißner Porzellan – das erste europäische Hartporzellan war dem chinesischen nachempfunden.
Dresden: Den Besuchern fallen die pagodenförmigen Dächer von Japanischem Palais, Palais im Großen Garten, Pillnitzer Schloss und vieles andere auf. Die Gärtner denken an Kamelien, Hortensien und Rhododendren, die den sächsischen Gartenbau weltberühmt machten.
Wenn wir an Bonsai denken, dann ist dies mit dem Namen George Meisters verbunden, der in Dresden als Hofgärtner im Garten vor dem Pirnaischen Tor( heute: Großer Garten), dem Zwingergarten und dem Türkischen Garten Arbeit fand. Hier in Dresden veröffentlichte er auch 1692 sein Buch “ Der orientalisch- indianische Kunst- und Lustgärtner“, in dem er seine Erlebnisse in Ostasien und anderen Weltteilen beschreibt.
George Meister, 1653 in Thüringen geboren, nahm 1677 als Soldat der Holländisch-Ostindischen Kompanie seinen Dienst auf. Am 18. Mai des gleichen Jahres begann seine Fahrt nach Batavia. Auf dem Schiff wurde er des Admirals Schiffsgärtner. Am Weihnachtstag 1677 in Batavia angekommen, trat Meister in den Dienst des Justizrates Doktor der Medizin Andreas Cleyer und baute für ihn eine Baumschule auf.
1682 bis 1684 und 1685 bis 1687 begleitete er Cleyer auf seinen Japanreisen, betrat als 11. Deutscher überhaupt japanischen Boden, sammelte und beschrieb eine große Zahl Pflanzen. Auf seiner Rückfahrt hatte er allein Samen von 500 verschiedenen Pflanzen an Bord. Im Jahre 1689 wurde er in Dresden „in seinem churfürstlichen Durchlauchten Dienste als orientalischer Lustgärtner begnädigt und aufgenommen“.
In seinem nun erschienenen Reisebericht beschrieb Meister Bonsai in ihrer ursprünglichen und typisch chinesischen Form, bevor Mönche diese Pflanzen in Gefäße pflanzten, um sie mit in ihre Klöster zu nehmen. Unter dem Titel “ Von der Japponer und Chineser Gartenbau“ teilte er uns mit:
„Keine größere Ergötzlichkeit mag sich diese Nation einbilden, als wenn sie nur große und hohe Klippen in ihren Gärten haben, welche zwar nicht von der Natur, sondern von ihren eignen Händen inventieret und also monierlich gemacht sind, dass sie solche Klippen und artigen Felsen bald hier wegnehmen und an einen anderen Ort oder Garten ohne Schaden transportieren können, … In den großen Steinen und Klippen haben sie einen Fuß tief runde oder länglichte Löcher, welche sie mit Erde füllen und hernach ihrer Art kleine Bäumgen hineinpflanzen, welche zum Teil Früchte, die meisten aber allerhand Art schöne und wohlriechende Blumen tragen …“
In Meisters Nachfolge stehen dann Engelbert Kämpfer, Franz von Siebold und Robert Fortune. Alle vier erwiesen dem europäischen Gartenbau mit ihren botanischen Berichten aus Japan und China, sowie mit den gesammelten und beschriebenen Pflanzen unschätzbare Dienste. Sie leisteten wahre Pionierarbeit. Eine wichtige Rolle spielte dabei die künstliche Insel Deshima, die der japanischen Stadt Nagasaki vorgelagert war. In der Periode der Abgeschlossenheit Japans durften nur die Holländer von ihr aus mit dem Land Handel treiben. Die jährlichen Gesandtschaftsreisen zum Kaiser waren dann die einzige Möglichkeit, das Land zu bereisen und botanisch – gärtnerisch zu studieren. Kämpfer und auch Siebold gelang dies.
Um 1690 berichtete uns Engelbert Kämpfer von dieser Reise über die Zwergbäume, “ die vor den Türen gewöhnlicher Häuser zur Lust und Zierrat ausgesetzt wurden“. Ausführlicher erzählt Robert Fortune (1812 – 1880, englischer Botaniker), der 1843 bis 1845 und 1848 bis 1851 China durchwanderte. Seine Niederschrift im fünften Kapitel bei einem Besuch der Stadt Ning-po über Zwergbäume soll dem Leser nicht vorenthalten werden:
„Die Gärten der Mandarinen in Ning-po sind sehr hübsch und einzig in ihrer Art; sie enthalten eine ausgesuchte Auswahl von chinesischen Zierpflanzen und Sträuchern und in der Regel eine große Menge Zwergbäume. Die letzteren sind zum Theil wirklich merkwürdig und geben abermals ein Beispiel von der Geduld und dem Geist dieses Volkes. Manche Exemplare sind nur wenige Zoll hoch und scheinen doch schon grau vor Alter. Sie werden nicht nur gezogen uns alte Bäume in Miniatur vorzustellen, sondern in mannichfaltigsten Formen gebracht; manche stellen Pagoden vor, andere haben das Aussehen von Thieren, unter denen der Hirsch, besonders beliebt zu sein scheint. Zu letzterem Zwecke wählt man gewöhnlich den Wachholder, der sich leichter in die gewünschte Form binden lässt; die Augen und Zunge werden später hinzugefügt. Einer von den Mandarinen in Ning-po, der, wie ich vermuthe, sich beeifern wollte, mir einen besondern Beweis seiner Gewogenheit zu geben, machte mir eins dieser Thiere – Pflanzen, wollte ich sagen – zum Geschenk, da es aber von keinem wirklichen Nutzen für mich war, und meine Sammlungen von anderen Dingen voll waren, so musste ich sein Geschenk ablehnen, das in seinen Augen offenbar grossen Werth hatte, und ohne Zweifel wunderte er sich über meinen Mangel an Geschmack.“
Hier machen wir Bekanntschaft mit einer „Kitschperiode“ in der chinesischen Bonsaikultur, die bis heute nicht überwunden ist.
Schon weit vor Fortune waren die Kenntnisse über Zwergbäume in einigen deutschen Ländern im Kunsthandwerk, sowie auch im gärtnerischen Wissen längst angekommen. Nur einige Beispiele sollen davon zeugen:
Bereits 1590 gelangten chinesische Mingporzellane als Geschenk des Herzogs von Florenz nach Dresden. Es folgten umfangreiche Einfuhren aus Ostasien, bis Böttcher endlich unter der Regentschaft von Kurfürst August dem Starken, das Meißner Porzellan für Europa erfand. Bereits in der Frühzeit der Fertigung kam Johann Gregor Höroldt nach Dresden, wurde Mitarbeiter der Manufaktur und war seit 1723 zum königlicher Hofmaler ernannt.
Höroldt gilt als geistiger Urheber der unverwechselbaren und einzigartigen chinesischen Märchenwelt. In seinem Musterbuch finden wir begleitend zu Szenen aus dem chinesischen Leben recht oft Zwergbaumdarstellungen.
Johann Heinrich Seidel (1744 – 1815) war vielleicht der berühmteste unter den sächsischen Hofgärtnern. Er pflegte eine der größten Pflanzensammlungen seiner Zeit (4500 Arten)und unterstützte seinen Freund Johann Wolfgang von Goethe bei seinen Studien zur „Metamorphose der Pflanzen“. Bei Seidel blühten 1792 die ersten Kamelien und er gilt als Stammvater einer ganzen Gärtnerdynastie. Sein 1803 in Leipzig erschienenes Buch `Der Frühlings- und Sommergärtner` schmückt ein Titelkupfer mit einem chinesischen Zwergbaumhändler. Diese Darstellung bezieht sich auf den Abschnitt des Buches über „Obstorangerie, nach Art der Chinesen in Scherben zu erziehen“.
Mit dem praktischen Sinn der Deutschen versehen, hat man die Bonsaitechnik übernommen und vor allem an Kulturgärten von Obstbäumen angewandt. Vorreiter hier war Hofrath Diel, der bereits 1798 einige hundert Äpfel, Birnen und Pfirsiche nach der „Baumerziehungsart der Chinesen“ besaß. Seit 1985 arbeiten wir, zuerst in Dresden und heute in Pirna- Zuschendorf, an der Wiederbelebung dieser alten faszinierenden deutsch- französischen Gartenkultur. Aber das wäre schon eine weitere Geschichte, die hier nur am Rande erwähnt sei.
Eine unerschöpfliche Quelle für Ostasien – Liebhaber ist das Schloss Friedenstein im thüringischen Gotha. Für die Nachfahren der ernestineschen Linie der sächsischen Kurfürsten (Sachsen – Gotha und Altenburg, sowie auch Sachsen – Coburg) bildete Ostasien seit dem frühen 18. Jahrhundert einen Sammlungsschwerpunkt beim Füllen ihrer Kunstkammern. Im Jahre 2000 präsentierte das Schloß seine Ostasiatika in der Ausstellung „… über den ziehenden Wolken der Fuji …“.
Thüringer Bonsaifreunde und die Botanischen Sammlungen aus Pirna- Zuschendorf begleiteten die Präsentation mit einer Bonsaischau auf dem Schlosshof. Unter vielen anderen Schätzen in Gotha befindet sich in der dortigen Bibliothek ein Album mit 34 farbigen Bonsaiaquarellen. Genaue Angaben dazu fehlen. Es stammt vermutlich aus der 2. Hälfte des 18. Jahr-hunderts. Im französisch geschriebenen Begleittext wird beschrieben, dass die Pflanzen nach der Natur gemalt und koloriert wurden, die die Chinesen besonders schätzen. Es ist eine Lust, die phantasievollen Landschaften en miniature in mannigfaltigen Gefäßen zu bestaunen.
Zu gleicher Zeit, als Zwergbäume in das europäische Kunsthandwerk Eingang fanden, gab es im späten 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts auch schon recht ausführliche Beschreibungen der Kulturtechniken. Ein besonders Vergnügen ist hier der Bericht von Sir George Staunton, der in „Des Grafen Macartney Gesandtschaftsreise nach China“ (Berlin,1798) enthalten ist (veröffentlicht in „Die Gartenwelt“ 1903/04):
„Was jedoch in diesem Audienzsaale in Ting-hai, Provinz Tsche-kiang, die Aufmerksamkeit unserer Reisenden weit mehr als die Laternen beschäftigte, das war eine Verzierung weit seltsamerer Art. Es standen nämlich auf Tischen, in Kübeln, die mit Erde angefüllt waren, Fichten, Eichen und Pomeranzen-Bäume, keiner mehr denn zwei Fuß(= 60 cm) hoch und gleichwohl in voller Frucht. Auf dem Erdreich, das diese Zwergbäumchen trug, lagen Haufen von Kieseln aufgeschüttet, die im Verhältnis zu den Stämmchen wie Felsklumpen erschienen, und beiden hatte die Kunst das Ansehen eines hohen Alters verschafft; die Bäumchen sahen abgestorben und die Miniaturfelsen zum Teil verwittert aus und waren mit Moos überzogen.
An diesen künstlichen Zwergen aus dem Pflanzenreiche schien man in China durchgehends sehr viel Geschmack zu finden, denn wir fanden sie in der Folge in jedem einigermaßen angesehenen Hause. Das Verfahren, wodurch Bäume in diese Form gezwängt werden, scheint der chinesischen Gartenkunst eigentümlich zuzugehören; indes ist dadurch, dass man der Natur einen neuen Zwang angetan hat, nichts anders gewonnen, als dass man jetzt einen liliputischen Baumgarten im Zimmer haben kann.
Dem gewöhnlichen Laufe der Natur nach erfordern die verschiedenen Produkte des Pflanzenreiches zu ihrer vollendeten Ausbildung, dieses mehr, jenes weniger, Zeit und Ausdehnung. Jahre vergehen, bis die Zeder des Libanon zu einem hohen Stamm wird und an ihren gerade von sich gestreckten Ästen nach farbenloser Blüte in kleinen Zapfen reiche Samen trägt, indes der Ysop auf seinem kurzen, krautartigen Stiel schon im zweiten Jahre Blüten und Samen bringt. Zwar lassen manche Baumarten sich ohne den langsamen Weg des Säens durch Schnittlinge vermehren, aber diese Schnittlinge müssen doch selbst erst zu Stämmen werden und eine Anzahl Zweige treiben, ehe sie Früchte tragen; das künstliche chinesische Zwergbäumchen hingegen erbt vom Mutterstamm die Kraft, gleich einem Pfropfreise unmittelbar wiederum Früchte hervorzubringen.
Soviel uns bekannt geworden, wird hierbei folgendermaßen verfahren. Oben auf den Baumstamm, da, wo die Krone angeht, legt man eine Schaufel voll Lehm oder Gartenerde um einen jungen Zweig, befestigt sie vermittelst eines Stückes Leinwand oder Matte an dem Stamm und Zweig und sorgt dafür, dieses Erdreich immer feucht zu erhalten. Nach Verlauf einiger Zeit, manchmal erst nach Jahr und Tag, sind durch die nasse Erde kleine Humuswurzeln aus dem Zweige gelockt worden. Nun wird das Stück des alten Stammes, auf dem das darauf festgebundene Erdreich ruht, abgeschnitten und der in jener Handvoll Erde schon angewurzelte Zweig behutsam in einen Kübel guten Erdreichs verpflanzt. Dieser Zweig ist echt und bringt sogleich dieselbe Frucht, die der Hauptstamm trug. Damit er nicht größer werde, dreht man die äußere Endknospe ab und nötigt ihn dadurch, seitwärts neue zarte Sprößlinge zu treiben, die der chinesische Gärtner durch Draht zu der Richtung zwingt, die sie nehmen sollen.
Will man den Zwergbäumchen das Ansehen eines alten, bereits halb abgestorbenen Baumes verschaffen, so bestreicht man den Stamm oft mit Sirup; dadurch werden Ameisen herbeigelockt, die, indem sie die Süßigkeit aufzehren, zugleich die Rinde beschädigen und ihr dadurch ein bräunliches, halbverwittertes Ansehen geben. In Spielwerken dieser Art besteht zum Teil die Wissenschaft und Kunst der chinesischen Gärtner, und wer es darin zu größerer Fertigkeit bringt als ein anderer, der hält seine Vorteile und Handgriffe geheim. In der Hauptsache läuft es indes auf das hier eben Angezeigte hinaus. Beobachtung der Natur und Geduld setzt dieses Verfahren allerdings voraus, sonst aber liegt weiter kein Verdienst darin. Wir sollen den Gang der Natur beobachten, um ihr auf demselben zu Hilfe zu kommen, aber nicht um sie zu stören und ihr entgegenzuarbeiten !“
Hier finden wir schon eine Reihe Hinweise vom Abmoosen bis zur künstlichen Alterung der Pflanzen. Schließen wir nun einen weiteren Teil der oben schon zitierten Wanderung durch China von Robert Fertune mit seinen Anmerkungen zur Zucht der Zwergbäume an:
„Die Zwergbäume der Chinesen und Japanesen sind von allen, welche über diese Länder geschrieben haben, beachtet worden, und alle haben versucht, eine Beschreibung des Verfahrens zu geben, welches man beobachtet, um ihnen die gewünschte Form zu geben und ihr Wachstum zu hindern. Dieses Verfahren ist in der Tat sehr einfach und beruht auf einer der gemeinsten Regeln der Pflanzenphysiologie.
Wir wissen, dass alles was in irgend einer Weise die freie Circulation des Saftes hindert, auch bis zu einem gewissen Grade die Bildung des Holzes und der Blätter hemmt. Dies geschieht ,durch Pfropfen, Beschränkung der Wurzeln, Entziehung des Wassers, Biegen der Aeste und hundert andere Verfahrungsweisen die alle auf demselben Principe beruhen. Dieses Prinzip wird von den Chinesen vollkommen verstanden und sie machen die Natur ihren Launen dienstbar.
Wie mir erzählt wurde, besteht der Anfang des Verfahrens darin, dass man die kleinsten Samenkörner von den kleinsten Pflanzen auswählt, was nicht unwahrscheinlich ist, ich kann aber hierüber nicht aus eigener Beobachtung sprechen. Ich habe jedoch oft gesehen, dass chinesische Gärtner zu diesem Zwecke Schösslinge von den Pflanzen auswählten die in ihren Gärten wuchsen. In der Regel wurden verkümmerte Abarten gewählt namentlich solche, die zu beiden‘ Seiten regelmässige Aeste halten, worauf viel ankommt ,denn ein einseitiger Zwergbaum hat in Augen der Chinesen keinen Werth.
Der Hauptstamm wird dann in den meisten Fällen im Zikzak gebogen, wodurch der Umlauf des Saftes gehemmt und zugleich der Trieb von Seitenästen, an den SteIlen, wo man es besonders wünscht befördert wird. Wenn diese Schösslinge in dem freien Felde oder in den Baumschulen, wo man sie gepflanzt hatte, Wurzeln gefasst hatten, wurden die besten für die Töpfe ausgesucht. Auch hierbei hat man dieselben Grundsätze vor Augen, welche ich oben andeutete, indem man sich kleiner und enger Töpfe bedient, die im Vergleich mit dem Bedürfnis der Pfanze nur wenig Erde fassen, und diesen nicht mehr Wasser giebt, als zur Noth hinreicht sie am Leben zu erhalten.
Wenn sich Aeste bilden, so werden sie abwärts gebunden und auf verschiedene Weise gebogen; die Spitzen der Hauptäste und stärker wachsenden Zweige werden in der Regel abgeknickt und alle Mittel angewendet das Wachsthum junger, irgend kräftiger Schösslinge zu verhindern. Eine Zeitlang kämpft die Natur gegen diese Behandlung, bis ihre Kraft sich zu erschöpfen scheint und sie sich ruhig der Gewalt der Kunst unterwirft.
Der chinesische Gärtner muss jedoch immer auf seiner Hut sein, denn wenn die Wurzeln seiner Pflanzen durch die Töpfe in den Boden dringen, oder zufällig genug Feuchtigkeit erhalten, oder die jüngsten Schösslinge einige Zeit in ihrer natürlichen Richtung fortwachsen, so kehrt die natürliche Kraft der Pflanze wieder, wenn sie auch lange unterdrückt war, und die schönsten Exemplare chinesischer Zwergzucht verderben.
Zuweilen, wie zum Beispiel bei Pfirsichen und Pflaumen, die oft als Zwergbäume gezogen werden, lässt man die Pflanzen blühen, und da sie dann Jahr um Jahr frei Blüthe treiben, so haben sie wenig Neigung stärker zu wachsen. Die Bäume, welche man in der Regel als Zwergbäume zieht, sind Kiefern, Wachholder, Cypressen, Bambus, Pfirsichen- und Pflaumenbäume, und eine Art der kleinblättrigen Ulme.“
Vielleicht war es dieser recht tiefgründige Bericht Fortunes, der zum Experiment einlud. 1855 erschien im „Oesterreichischen Botanischen Wochenblatt“ ein Artikel, der 1859 in der „Gartenflora“ und in der „Blumenzeitung“ in Auszügen nachgedruckt wurde. Ein Herr aus Oldenburg, Godwin Bökel beschreibt seine eigene Zucht von „Liliputpflanzen“. Er schreibt selbst: „In Hamburg, im Jahre 1847, habe ich das Vergnügen gehabt in der Kunst- und Handelsgärtnerei des Herrn Carl Trobitius der Erste zu sein,der Liliputpflanzen producirte.“ Diese Mitteilung ist eine Sensation! Der Text der „Gartenflora“ sei hier eingefügt:
„Zucht der Liliputpflanzen. (Nach einem Artikel von G. Bökel im Oestr. Botan. Wochenblatt) Unter dem Namen Liliputpflanzen werden in der Regel kleine abgerissene Stücke, oder jüngst gemachte Stecklinge verstanden, welche dann von Händlern auf Gestellen und in sehr kleinen Töpfchen verkauft werden, freilich aber nicht lange leben.
Wir haben den Namen den Chinesen entnommen und sollten auch wie sie, gleich sorgsam diese Pflanzen cultiviren, wenn wir von eigentlichen Liliputpflanzen, d.h. von Pflanzen sprechen wollen, die vollkommen ausgebildet, aber in allen Theilen vielmal kleiner als die gewöhnlichen Pflanzen sind. Solche Pflanzen sehen wirklich eigenthümlich aus und können auch lange erhalten werden. Herr Bökel ist es, der solche Llliputpflanzen in Deutschland wohl als der erste cultivirte und erwähnt unter diesen z. B. einer Epheupflanze mit 22 Blättern, die nebst Töpfchen von einem grossen Blatte des gewöhnlichen Epheu’s bedeckt werden konnte, ferner einer 12 Zoll hohen Eiche (Quercus Robur) deren Krone eine Kugel von 6 Zoll Durchmesser bildete. Die Cultur, welche derselbe befolgte war folgende.
Es werden Töpfe aus sehr porösem Thone angefertigt, indem man rothen und weissen Töpferthon zu gleichen Theilen mit 4 Prozent Asche und 1 Prozent Schwefel mischt. Zu holzigen baumartigen Pflanzen, wie der Eiche etc, werden flache Näpfe von 2-3 Zoll Höhe und 5-6 Zoll Durchmesser, zu den andern Pflanzen Töpfchen von 1-2 Zoll Durchmesser und 1-2 Zoll Höhe verwendet.
Als Erde verwendet man die gleiche, wie bei der gewöhnlichen Cultur nur mischt man noch 1/3 ganz kleine Kieselsteinchen hinzu. Hierein werden die Pflanzen so fest als möglich gepflanzt, wobei kein Gussrand gelassen wird. Bewässert wird von unten, Indem man einige Töpfchen zusammen in Untersätze stellt, oder sich Blechkästen anfertigen lässt, in welche man diese Pflanzen stellt, aus denen man mittelst Hahnen das Wasser, welches, nicht aufgesogen wird, auslassen kann.
Holzige Pflanzen, wie Eichen, Ulmen etc. werden am besten hierzu genommen, wenn sie ein Jahr alt sind. Man schneidet dann im Frühling gleich die Spitze weg, damit sie Seitentriebe machen und wenn diese die Länge von 1 1I2 Zoll erreicht haben, kneipt man diese Spitze aus, und dies wiederholt man bei allen folgenden. Nach dem jedesmaligen Beschneiden werden die Pflanzen kühl gestellt, damit die Triebe nicht zu dünn werden. Sonst ist ein sonniger Standort der beste. Von krautigen Pflanzen werden Stecklinge gezogen und diese alsbald dieser Cultur unterworfen. Rankende Pflanzen eignen sich nicht dazu. Für alle die Pflanzen, welche es vertragen können, kann alle 3-4 Wochen ein Dungguss angewendet werden, doch hüte man sich dies zu häufig zu thun, da es die Pflanzen töten würde.“
Herr Godwin Bökel war also, soweit bekannt, der erste Bonsaigärtner in Deutschland. Dass die erste Bonsaigärtnerei unseres Landes in Hamburg lag, ist folgerichtig, denn hier kamen die großen Schiffe aus aller Welt an und brachten Kunde aus fernen Landen. Er zieht sehr richtig durch das Schneiden der Spitzen „vollkommen ausgebildete, aber in allen Teilen vielmals kleinere als gewöhnliche Pflanzen“. Großartig ist, er zog offenbar sogleich heimische Gehölze – u.a. schreibt er von Eichen. Es mag sein, dass dies aus Mangel an ostasiatischen Gehölzen geschah. Ein wenig ging es uns 1982 auch so, als wir in Dresden die Bonsaiproduktion begannen.
Jeder heutige Bonsailiebhaber in Deutschland sollte selbst darüber nachdenken, wie langwierig in den letzten Jahrzehnten der Weg zum heimischen Baum war. Dieser Weg ist noch lange nicht abgeschlossen, wenn heute immer noch, statt die natürlichen Baumformen zu gestalten, unsere heimischen Gehölze in japanische Formen gezwängt werden. Aber dazu mehr am Schluss des Aufsatzes. Das 2. Jubiläum welches wir dieses Jahr begehen: 2007 – 160 Jahre Bonsaigärtner in Deutschland.
1878 erscheint in „The Garden“ ein Artikel über japanische Bonsai, die in der japanischen Abteilung der „Pariser Ausstellung“ gezeigt werden. Nun sind also wirkliche Importe in Europa angekommen. Sechs davon sind als Zeichnungen dargestellt. Die Zeit der Bonsaiausstellungen beginnt. Etwas bösartig werden die Pflanzen als Zwergen- und Monsterbäume tituliert. Das geschieht in Anlehnung an ein Märchen von Victor Hugo, in welchem eine umherziehende Kinderfängerbande ihre Gefangenen zum Amüsement hoher Herren in Zwerge und Monster verwandelte.
Prof. Dr. Oscar Drude (1852 – 1933), der Direktor des Dresdner Botanischen Gartens und Gründer des Botanischen Instituts in Dresden berichtete 1889 in der „Gartenflora“ wieder von einer „Pariser Ausstellung“. Dort zeigte Herr Kasawara aus Japan seine Zwergbäume und rief damit große Verwunderung bei Botanikern und Pflanzenliebhabern hervor. Nun folgte London: 1901 zur „Großen Londoner Gartenbauausstellung“ in den Temple-Gardens wird folgendes berichtet:
„Ganz besonders reichhaltig und in bisher noch nie dagewesenen Mengen wurden die jetzt sehr beliebt gewordenen japanischen Zwergbäume vorgeführt. Das Bedeutendste in dieser Richtung leisteten Herr S. Eida und sein berühmter Zwergbaum-Züchter Segiro Takagi aus Tokio, welcher in der Nähe Londons ein großes Geschäft mit Zwergbäumen betreibt. Zwischen den ausgestellten Pflanzen, welche meistens aus 30- bis angeblich über 200-jährigen Exemplaren von 20 bis 40 cm Höhe bestanden, waren ganze Miniaturlandschaften in Schalen oder Bambuskästen aufgestellt.
Für ein Kästchcn von etwa 75 cm Länge wurden 300 M. verlangt. Es enthielt uralte Bäume, niedliche Felsen, Brücken und Gewässer, worin sogar winzige Fischchen sich tummelten. Auch Russel, Richmond, und Barr & Sons, London, stellten zahlreiche solcher Zwergbäume zur Schau, von denen ich eine angeblich über 200 Jahre alte Larix leptolepis (Kaufpreis 650 M.) photografierte.“
Interessant ist auch der Bericht der nachfolgenden Ausstellung, wobei dieser schon einige ästhetische Bewertungen vornimmt:
„Wenn sich solche steifen Formen- Liebhabereien bei uns nicht einbürgern, so haben wir schon recht,“schön ist etwas anderes !“ Genau so verhält sich der deutsche Sinn; wenigstens allgemein genommen, gegen die japanischen Krüppelpflanzen, die außerordentlich viel auf der Temple Show paradierten. Wir wissen, dass die japanischen Gärtner seit Jahrhunderten die Kunst üben, alle möglichen Koniferen, Bäume und Sträucher, in zierlichen japanischen Gefässen stehend, mit dem Messer künstlich zu Krüppeln zu züchten und viele solcher ausgestellten kuriosen Pflanzenkrüppel trugen die Vermerke:
,,60, 70, 80, 120, ja bis 150 Jahre alt“. Man konnte beim Beschauen sich eines ehrfürchtigen Gefühls nicht erwehren. Wie mir jedoch ein mitanwesender Kenner der japanischen Verhältnisse versicherte, kann man solche Mummelgreise in weit kürzerer Zeit, schon innerhalb von 10 – 12 Jahren so krüppelig ziehen, dass der Europäer an ein ehrwürdiges Alter von 100 und mehr Jahren glaubt. Der gleichfalls in London weilende Herr Suzuki aus Yokohama hat das freilich bestritten.“
Zu dieser Zeit gab es auch in Deutschland importierte Zwergbäume. Allerdings finden diese als Privat-sammlung oder als Verkaufspflanzen in Blumengeschäften Erwähnung.
Zwei Quellen verweisen auf eine Sammlung in Frankfurt am Main. Frau Baurat Holzmann soll diese um 1890 von ihrem Neffen aus Japan geschenkt bekommen haben. Ein befreundeter Kapitän hat sie auf der langen Seereise fürsorglich gepflegt, so dass die Sammlung fast ohne Verluste den Hamburger Hafen erreichte. Wir finden 1903 und 1911 Artikel in der `“Gartenwelt“ darüber. Mindestens 20 Jahre (vielleicht auch noch viel länger?) war der Eigentümerin die Erhaltung gelungen. Sie oder ein Gärtner in der Nähe mußten also über gutes Fachwissen verfügen. Das Alter der Pflanzen wird 1911 auf 60 – 80 Jahre geschätzt.
Als erste uns bekannte öffentliche Ausstellung der „Zwergbäume der Japanesen“ ist uns heute die III. Internationale Gartenbauausstellung Dresden 1907 bekannt. Wie in Teilen des Textes bereits beschrieben, war dies folgerichtig. Das Ostasien – Interesse war in Dresden seit Jahrhunderten eine prägende sächsische Leidenschaft. Die praktische Umsetzung personifizierte sich in der Gärtnerfamilie Seidel.
Der Hofgärtner Johann Heinrich schrieb schon 1803 darüber und sammelte sehr viele ostasiatische Pflanzen. Zwei Söhne, Jacob Friedrich und Traugott Leberecht, gründeten 1813 den ersten Spezialbetrieb des deutschen Zierpflanzenbaus unter Glas. Seine Spezialkulturen, die weltweiten Ruhm erlangten, waren Kamelien, Azaleen und Rhododendren – alles Ostasiaten. Sein Sohn Herrmann, und wieder dessen Söhne Rudolf und Heinrich, galten als die Initiatoren der drei großen Internationalen Gartenbauausstellungen in Dresden. Rudolf Seidel schrieb den Schlussbericht zur dritten, in dem wir das Bild mit den Zwergbäumen fanden.
Bereits nach 2 Jahren, im Jahre 1909, zeigte Otto Begroth aus Berlin- Marienfelde auf der „Großen Internationalen Gartenbauausstellung“ in Berlin japanische Zwergkoniferen und Wisteria (Blauregen). 1911 folgte dann das Museum Stuttgart, welches „Japanische Zwergbäume und Kunstgegenstände“ aus der Sammlung des Stuttgarter Geheimen Hofrates Prof. Dr. Baelz ausstellte.
Nun wurden Zwergbäume auf Gartenbauausstellungen üblich und stellten bald keine besondere Sensation mehr dar. Bis hin zu den Dresdner Reichsgartenschauen lässt sich das verfolgen. Durch das Bündnis des III. Deutschen Reiches mit Japan konnte man die Zwergbäume ja schlecht zur entarteten Kunst erklären.
Japanische Gärten wurden angelegt und auch dort Bonsai aufgestellt. Bekannt ist vor allem der noch existierende japanische Garten von Leverkusen, heute allerdings ohne Bonsai. Von 1930 gibt es Fotos mit Zwergbäumen.
Besonders prachtvoll war wohl der Japan – Garten am Flughafen in Frankfurt. In der „Gartenwelt“ von 1909 wird berichtet, dass dieser unter Anleitung des Japaners Herr Yasuda durch die Darmstädter Großgärtnerei Fred Henkel angelegt wurde. Im Teehaus des Gartens vertrieb der Gärtner Henkel ein Heftchen zu 30 Pf. eine „Kulturanweisung bzw. Behandlungsweise zur Gewinnung japanischer Zwergbäumchen“ enthaltend.
Die Vermutung liegt nahe, dass es auch im Schloßgarten Reinhardsbrunn, der Gothaer Sommerresidenz, einen Japanischen Garten mit Zwergbäumen gab. 1906 – 1908 steht im Betriebsplan des Gartens, dass“die kleinen Koniferen“ samt Wurzeln mal kräftig zu beschneiden (sind), um das Wachstum zu mindern und einen zwergigen Wuchs herbeizuführen.
In gut sortierten Blumengeschäften gehört nun ein Zwergbaum- Angebot dazu. Wert und Preise wurden in den gärtnerischen Zeitungen ausführlich diskutiert. Der wichtigste Großhändler zu Beginn des 20. Jahrhunderts war offensichtlich Herr Eida in London. Wir begegneten ihm bereits bei der oben beschriebenen Londoner Gartenbauausstellung. Im „Großen Weltpanorama“ steht dazu u.a. folgendes:
„Außerhalb Japans ist der einzige Mann, der sich mit dem Import dieser merkwürdigen Bäumchen nach Europa beschäftigt, der Gärtner Eida in London. Man kann wohl kaum eine Stunde auf interessantere, lehrreichere Art zubringen, als bei einem Besuch in seinen Gewächshäusern und bei der Besichtigung seiner Sammlungen.
Vielleicht thäte man besser daran, dieses Gewächshaus Hospital zu nennen. Hier kommen Pflanzen – manche von ihnen wohl zwei bis drei Jahrhunderte alt – an, deren Leben vollständig ausgesetzt zu haben scheint, wenn man diesen Ausdruck auf Pflanzen anwenden darf. Zu vier- bis fünfhundert Stück auf einmal treffen sie ein, in Stroh und japanische Reismatten verpackt. Ein am Boden aufgestapelter Haufen solcher Bäume, der wohl einen Wert von ca. 20000 Mark repräsentiert, sieht wie ein Reisigbündel aus, das kaum als Brennholz etwas wert ist. In diesem Zustand gleichen die Aestchen kleinen, eisernen Stäbchen, aber man widme ihnen einen Monat sorgsame Pflege, und man wird sehen, was dann geschieht. Die strauchähnlichen Aestchen sprießen aus und grünen, die verdorrten Stämmchen bekommen wieder ein volleres Aussehen, und die ganze Pflanze macht einen schönen, blühenden Eindruck.
Bei ihrer Ankunft werden die Bäumchen zunächst durch eine Mischung von viel Wasser und wenig Dünger erfrischt; wollte man ihnen zu viel Nahrung zukommen lassen, so würden sie sich wohl bald wieder zu ihrer natürlichen Größe auswachsen. Hierauf werden sie in ihre eigenen flachen Töpfchen gesetzt, einige Minuten gut besprengt und dann zur Erholung in ein Treibhaus gebracht. Ihre gute Natur hilft den Bäumchen, so daß sie in dieser sorgsamen gärtnerischen Pflege bald wieder so gesund und lebenskräftig sind, wie zuvor. Abgesehen von dieser allgemeinen Wiederbelebungsoperation wird jeder Baum einer besonderen Ernährungsmethode unterworfen.
„Und was erzielen Sie für diese Bäumchen?“ fragte ich. „Das hängt selbstverständlich ganz von ihrer Art und dem Alter ab“, antwortete Herr Eida, während er eine lächerlich kleine Eiche hochnahm. „Hier sehen Sie ein sechs Monate altes Baby, das nicht mehr als sechs bis sieben Mark wert ist. Jene Fichte aber ist mindestens dreihundert Jahre alt; da kann der Preis von fünfhundert Mark für alle die Zeit und Arbeit, die der Baum gekostet hat, wohl nicht als übertrieben bezeichnet werden. Meine billigsten Bäume kosten pro Stück 5 Mark, die teuersten 600 Mark. Ahornbäume verkaufen sich am besten; sie sehen am niedlichsten aus, sind am dauerhaftesten und dabei verhältnismäßig wohlfeil.“
Wie steht es nun mit den Kenntnissen der Kultivierung dieser Bäume en miniature? Aus den Berichten von Robert Fortune und Georg Staunton und aus der praktischen Umsetzung des Herrn Bökel wissen wir, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die grundsätzlichen Bonsaitechniken auch in Europa bekannt waren.
Nach der Öffnung Japans und angeregt durch die ersten Berichte aus China und Japan, setzte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reisewelle ein. Viele Wissenschaftler bereisten nun Ostasien bzw. arbeiteten sogar dort. Am verblüffendsten ist hier eigentlich ein kurzer Text von Dr. Fritz Graf von Schwerin. Er war ein hochgeschätzter Fachmann der Dendrologie und Präsident der Deutschen Dendrologischen Gesell-schaft. Noch 1921 schrieb er unter dem Titel „Pflanzenwunder der Fakire und Spiritisten“:
,,…In den Bereichen der Wahrscheinlichkeit wird die Theorie des gewaltsamen Treibens dadurch gebracht, dass wir wissen, dass ein anderes Volk durch Mittel, die uns gleichfalls nicht klar sind, imstande ist, das Wachstum einer Pflanze unglaublich zurückzuhalten. Das nämlich tun die Japaner bei der Kultur ihrer Zwergbäume. Sieht man doch in Japan Jahrhunderte alte Bäume, die eine Höhe von kaum 20 bis 25 cm erreicht haben, dabei aber vollkommen richtig entwickelte Pflanzen sind, die sich in nichts als eben den Größenverhältnissen von den normalen unterscheiden.
Ist man nun aber imstande, das Wachsen und die Größenverhältnisse einer Pflanze so unglaublich zu verändern, daß man aus einem normal 25 m werdenden Kirschbaum einen hundertmal kleineren schafft, und ihn zwingt, in einem Jahr statt 50 cm nur 5mm zu wachsen, weshalb sollte es dann nicht möglich sein, auch das Gegenteil zu erreichen und eine Pflanze zu zwingen, Lebensvorgänge, die sich in einem Jahr abspielen sollten, in Stunden zu durchlaufen?…“
Artikel solcher Art sind aber eher die Ausnahme. Aber selbst Lexika sind nicht immer auf der Höhe der Zeit. So lesen wir in Th. Rümplers 1890 erschienenen Gartenbau- Lexikon unter dem Stichwort Zwergbäume der Japanesen u.a.:
“ Wie diese Zwerggestalten erzogen werden, hat bis daher noch nicht ermittelt werden können, doch scheint Verstümmelung ausgeschlossen zu sein.“
Interessant für die heutigen Bonsaigärtner könnten die vielen kleinen Tipps und Kniffe sein. Ob sie stimmen und Erfolg versprechen, sei dahingestellt. Eine Auswahl soll nun folgen, sofern sie nicht in vorangegangenen Zitaten bereits enthalten sind. Im „Großen Weltpanorama“ lesen wir:
“ Natürlich erfordern die verschiedenen Baumarten auch eine individuelle Behandlungsweise; Eichen und Fichten müssen lange, flache und breite Töpfe haben, da ihre Wurzeln sich sehr ausbreiten und nicht so tief in die Erde eindringen wie diejenigen des Ahorn und anderer Baumarten. In dieser Jugendzeit der Zwergbäumchen beginnen die Japaner auch schon, ihnen die Mittel für später hervortretende Absonderlichkeiten beizubringen. So impfen sie ihnen verschiedene Farblösungen ein, daß die Blätter der ausgewachsenen Pflanze oft in allen Regenbogenfarben schillern.
Die Impfung verläuft folgendermaßen: Ein erfahrener, geschickter Gärtner nimmt kleine Wurzelfaserchen, impft sie und klebt sie mit Thon wieder an den Mutter- Wurzelstock fest. Nach einigen Wochen bildet das Ganze einen vollkommen miteinander verwachsenen Wurzelknorren. Ahornbäume scheinen sich zu dieser Operation besonders gut zu eignen, und es ist durchaus nicht ungewöhnlich, an ihnen Blätter von mindestens einem halben Dutzend verschiedener Farben und Formen anzutreffen.“
Herr Brügmann schreibt 1920 in den „Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft“:
„Es dürfte wohl allgemein bekannt sein, dass die Japaner ihre berühmten Zwergkoniferen dadurch erzielen, dass sie normale Pflanzen in engen Behältern und bei schlechter Ernährung viele Jahrzehnte hindurch kultivieren, diese Pflanzen zeigen dann trotz ihrer Winzigkeit alle Merkmale hohen Alters. Bisweilen bringt die Natur auch von selbst solche zwergigen Standortformen hervor, wie ich in dem mir gehörigen Hubertushofgarten feststellen konnte.
Hier war vor langen Jahren eine Abies concolor auf einen Boden gepflanzt, der nur ganz flach dem steinigen Untergrund auflag. Sie bildet heute eine ganz niedrige Zwergform, während die gleichzeitig mit ihr auf tiefem Boden gepflanzten Tannen derselben Art zu hohen üppigen Bäumen herangewachsen sind. Das zwergige Wachstum ist also in diesem Falle genau wie bei den japanischen Kunstformen durch Unterernährung und Mangel an Ausbreitungsmöglichkeit hervorgerufen.“
Im Jahre 1916 schreibt Prof. Dr. Hans Molisch:
„Nebenbei bedient man sich noch verschiedener Kunstgriffe, um das Wachstum und die Entwicklung tunlichst zu verlangsamen. Man entfernt die Hauptwurzel, köpft die Hauptachse, ersetzt sie durch eine Nebenachse, schneidet die Zweige häufig zurück, biegt, dreht, ringelt sie, entblößt die Wurzeln zum Teil von Erde und macht sie, wie dies auch aus der Abbildung II zu ersehen ist, gewissermaßen, zum Stamm.“
1933 macht sich ein nicht genannter Autor Gedanken darüber, dass Zwergbäumchen nach dem Alter bezahlt werden, aber das Alter keiner nachprüfen kann:
“ Nun braucht aber das Alter, das für derartige Bäumchen angegeben wird, nicht immer zu stimmen und für bare Münze genommen zu werden, schließlich ist keiner dabei gewesen, als diese so genannten ,,400 Jahre alten Bäumchen“ aus dem Samen gezogen wurden! Die Japaner verstehen es, durch mannigfache Kniffe ein höheres Alter vorzutäuschen, um sie wertvoller zu machen; sie höhlen irgend ein altes abgestorbenes Baumstück aus, ziehen den Stamm eines jüngeren Bäumchens hindurch und pflanzen beide als Ganzes in den Topf.“
Dr. Martin Kleinstück arbeitete an der Technischen Hochschule Dresden auf dem Gebiet der Holzchemie. Dank eines Stipendiums konnte er sein Fachgebiet noch vor dem 1. Weltkrieg in Japan studieren. Er schreibt über den Zusammenhang von Temperatur, Feuchtigkeit und porösen Ton:
„Die Töpfe bestehen aus möglichst porösem Ton, wozu sich ein chinesisches Material besonders gut eignen soll. Als Boden dient eine feinkiesige Erde, die immer vulkanische Asche oder Holzkohle enthält. Den Bäumchen wird reichlich Licht, Luft, Wärme, Feuchtigkeit, insbesondere aber Raps- oder andere Ölkuchen als Dünger geboten; eine geradezu rührende Pflege tut ein übriges. Das Ergebnis ist denn auch über alles Erwarten erstaunlich und drollig.
Es sind wahre Däumlingsgewächse, kaum so viel Zentimeter hoch, als sie Jahre zählen und trotzdem mit der ganzen ungebrochenen Lebenskraft ihrer normalen Kollegen. Für eine gedeihliche Entwicklung ist die Hauptsache zweifellos eine triefende Feuchtigkeit. Durch den porösen Ton verdunstet das Wasser sehr rasch und dauernd. Die hohe Verdunstungskälte des Wassers schafft damit im Boden eine ziemlich niedrige Temperatur, die um so geringer ist, je höher die Temperatur der Umgebung, wie ja auch in ganz gleicher Weise bei den ägyptischen Wasserkrügen durch den porösen Ton das Trinkwasser selbst im stärksten Sonnenbrand dauernd kühl gehalten wird. Durch die Herabsetzung der Temperatur wird aber das Wachstum nach Möglichkeit gehemmt. Ganz wesentlich ist ferner die Gegenwart der Holzkohle. Infolge ihrer fäulnishemmenden Kraft hält sie den Boden dauernd gesund, so daß er selbst bei übermäßiger Feuchtigkeit nicht säuern kann.“
Herr Groussot beschäftigt sich 1930 in der „Gartenschönheit“ u.a. mit der Frage des Lichtes bei der Bonsaigestaltung und schreibt:
“ Die Japaner nehmen den Bäumen teilweise das Licht, beschatten es, dass nur ein kleiner Teil der Äste von der Sonne beschienen wird. Durch diese teilweise raffinierte Beleuchtung beugen sich die Ästchen in der Richtung zur Sonne. Wenn die kleinen Äste von der Seite und von unten beleuchtet werden, neigt sich ein senkrecht wachsendes Bäumchen wagrecht und wächst dann in dieser Lage weiter. Da die unteren Partien mehr beleuchtet sind als die oberen, wachsen die unteren Äste auch mehr als die oberen. Das Bäumchen bleibt buschig, dabei aber flach und niedrig.“
Im Jahrgang 1897 der „Erfurter Gartenzeitung“ referiert ein nicht genannter Autor mit reichlich Humor über die Zwergbäumchen. Er legt den Schwerpunkt auf die Wurzeln:
„Soviel wir aus da uns zugänglichen Quellen der Belehrung entnehmen können, so ist dies hauptsächlich das Produkt einer geschickten und lang fortgesetzten Wurzelbeschneidung. Sie fassen von Anfang bis Ende den Sitz kräftigen Wuchses ins Auge und bestreben sich, denselben möglichst zu schwächen, sofern dies mit der Erhaltung des Lebens verträglich ist. Sie schneiden daher die Hauptquelle sich ausbreitenden Wuchses, nämlich die Herzwurzel ab.
Sie fangen mit dem Anfang an. Sie nehmen einen jungen Stamm (etwa einen Sämling oder Schnittling einer Zeder), wenn er nur einen oder zwei Zoll hoch ist, schneiden seine Herzwurzel aus, sobald er andere Wurzelfasern hat um sich dadurch zu nähren, und versetzen ihn in einen flachen irdenen Topf oder Pfanne. Das Ende der Herzwurzel lässt man gewöhnlich auf dem Boden der Pfanne oder einem flachen Stein darin aufruhen. Angeschwemmte Thonerde wird dann in den Topf gegeben, die meiste davon in Stücken, wie eine Bohne und gerade genug an Bodenart und Quantität, um der Pflanze eine spärliche Nahrung zu gewähren.
Es wird Wasser genug gegeben, um die Pflanze im Wachstum zu erhalten, allein nicht genug, um dies im kräftigen Maße geschehen zu lassen. So wird auch mit der Zulassung von Luft und Licht verfahren. Da die Chinesen auf die Form ihrer Miniaturpflanzen stolz sind, so bedienen sie sich des Bindfadens, des Drahts und der Pflöcke und verschiedener mechanischer Vorrichtungen, um systematischen Wuchs zu befördern, und ihre Lieblinge in recht tolle, abenteuerliche Figuren zu zwängen.
So kommt also das Wachstum der Herzwurzel bei der Anwendung sehr flacher Gefässe gar nicht in Frage; durch die Anwendung des magern Bodens und einer nur geringen Menge davon und wenig Wasser wird starkes Wachstum gehindert. Dann auch, da der Gärtner leicht zu der Krone und den Seitenwurzeln gelangen kann, so werden beide mit der Baumschere beschnitten, oder mit einem heissen Eisen abgesengt. Der junge Baum, der so sich nach allen Seiten beengt und beschränkt sieht, giebt natürlich den Gedanken kräftigen Wuchses auf und bittet blos für sein Leben, und gerade Wachstum genug, zu bestehen und ein hübsches Aussehen zu haben.
Folgerichtig verkümmert jeder neue Blätteransatz mehr und mehr, die Keimaugen und Wurzelfasern verkleinern sich im Verhältnisse und zuletzt wird ein Gleichgewicht hergestellt zwischen jedem Teile des Baumes, wodurch er in jeder Hinsicht zwergartig wird. Bei einigen Baumarten wird diese Absicht erreicht in drei bis vier Jahren, bei anderen in zehn- bis fünfzehn Jahren. So steht es mit dem barocken Gartenbau der „Himmlischen“.“
Es gibt natürlich auch Versuche, sich ernsthaft wissenschaftlich mit der Problematik auseinanderzu-setzen. Hier taucht der Begriff der „Nanisation“ auf. Prof. Dr. O. Drude schreibt 1889, daß die Franzosen so das Verfahren der Japaner zur Bonsaierziehung (Verzwergung) bezeichnen.
Prof. J.J. Rein erzählte ebenfalls in seinem 1886 erschienenen Buch „Japan nach Reisen und Studien“ darüber und zählt folgende Methoden auf, die zur Nanisation führen: Auswahl kleiner Samen, kleine Töpfe, Drehen von Stamm und Ästen in horizontale Richtung, Abkühlung des Bodens durch Verdunstungskälte und Veredeln. Das Entscheidende sei, die Wachstumsprozesse zu verlangsamen. Als Krönung verweist er auf Engelbert Kämpfer. Dieser sah in einem Kästchen von 10 x 4 x 15 cm einen Bambus, eine Kiefer und eine Mumepflaume wachsen. Der Preis dafür waren 1200 Holländische Gulden, die damals 2040 Mark entsprachen.
Als letztes Kapitel soll nun doch noch die Frage nach dem Sinn oder Unsinn der Zwergbaumkultur gestellt bzw. einige ästhetische Fragen angesprochen werden. Dies ist sicher heikel, weil es oftmals auch in unseren heutigen Diskussionen eine wichtige Rolle spielt oder spielen sollte. Die Meinungen sind z.T. bösartig, manchmal belustigend, aber auch erklärend und uns heute mahnend. In dieser Reihenfolge wollen wir es auch aufschreiben.
Typische Begriffe sind da: Verkrüppelt, verkümmert, ausgehungert, mißhandelt, geknebelt, verunstaltet, grotesk, vegetieren, gequält, verhungert, unrühmlich, in Formen gepreßt, Modelaunen unterlegen, absonderlich … Wer von den Bonsailiebhabern hätte sie, und das auch heute noch, nicht schon gehört. Solche (Vor)- Urteile halten sich lange und es wird sie immer geben. Prof. J.J. Rein schreibt 1886:
„Die chinesischen Mädchen verkümmern und verkrüppeln ihre Fülle in engen Schuhen und die ostasiatischen Kunst- und Handelsgärtner manches Holzgewächs, indem sie dasselbe in einen kleinen Topf zwängen, öfters umsetzen und beschneiden, also durch ungenügende Ernährung und Zurückschneidung. Dabei richtet sich ihre Tätigkeit entweder nur auf Verjüngung im Sinne des Maßstabes, also bei Wahrung der Form, oder auf die Erzielung von Monstrositäten verschiedener Art.“
Ähnlich finden wir es auch in der „Erfurter Gartenzeitung“ von 1897 beschrieben:
„Wir wußten schon in unserer Kindheit, wie die Chinesen die Fülle ihrer Frauen einzwängen und es so dahin bringen, daß sie „hübsch zu Hause bleiben“, allein wie es ihnen gelingt, Miniaturfichten und Eichen in Töpfen ein halbes Jahrhundert lang zu ziehen, das war immer noch ein großes Geheimnis.“
Groussot schreibt 1930 in der „Gartenschönheit“ voller Mitleid:
„Im Grunde sind diese Zwergbäumchen von Hunger gequälte, bedauernswerte Wesen, die Mangel an Feuchtigkeit und Sonne leiden, die durch Zusammenbinden mit Stricken verunstaltet werden. Es sind künstlich gezüchtete Kuriositäten, die jetzt zu Dekorationszwecken gesucht sind und gut bezahlt werden.“
Auch nicht sehr freundlich sind die Äußerungen von Dr. Hans Molisch 1916 in „Möllers Deutscher Gärtner-Zeitung“:
„Die Gärtnerei, Land- und Forstwirtschaft arbeitet darauf hinaus, die in Kultur befindlichen Pflanzen tunlichst gut zu ernähren, um möglichst üppig wachsende, reichlühende und stark fruchtende Individuen zu gewinnen.“
„Im Gegensatz hierzu strebt man bei den japanischen Zwergbäumchen auffallenderweise das Gegenteil an; man sucht nicht eine üppige, sondern eine recht ausgehungerte und wenn möglich auch gleichzeitig verkrüppelte Pflanze zu erziehen. Durch planmäßiges Hungernlassen gelangt man schließlich zu den sonderbaren Zwergen, die das Auge des Japaners seit Jahrhunderten erfreuen. Hunger und Durst werden hier zu Kulturfaktoren, und das Pathologische wird hier zum Ziel gärtnerischer Fertigkeit.“
Etwas freundlicher klingt es dann schon, wenn Herr Dr. Kleinstück von den „schnurrigen Launen der Züchter“ spricht.
Aber was meint unser oben entdeckter „erster Bonsaigärtner Deutschlands“ Godwin Bökel? Schelmisch bemerkt er „…die Verkleinerungskunst der Chinesen grenzt an das Unglaubliche und ist, wenn auch nur eine Spielerei, eine niedliche und bei den Damen sehr beliebte.“ Im „Großen Weltpanorama“ klingt die Suche nach dem Sinn schon eher fragend:
„Warum gerade die Japaner das einzige Volk auf der ganzen Welt sind, welches das Wachstum seiner Bäume hemmt, ist schwer zu erklären. Vielleicht rührt es daher, dass sie bei ihrem eigenen kleinen Wuchs sich im Vergleich mit den Maßen der künstlich verkrüppelten Bäume ihrer Gärten größer vorkommen.“
Prof. Dr. Drude schließt seinen Artikel mit der Feststellung: „Jedenfalls sieht man hier (bei der Zwergbaumkultur d.R.), was sich die Pflanze in der Hand des Gärtners gefallen lässt. Nun ist es Zeit, zu den tiefgründigen Aussagen zu kommen. In der „Gartenschönheit“ 1930 lässt uns Groussot an seinem Wissen über den Sinn der Miniaturbäume teilhaben:
„Sie vererben sich in den japanischen Familien von den Vätern auf die Söhne, von Geschlecht zu Geschlecht, und ist es daher nicht zu verwundern, daß man mit Ehrfurcht auf sie blickt. Die Japaner verstehen es, gewissermaßen die Familienchronik ganzer Geschlechter in die Bäumchen hineinzulegen und auch aus den Ästen des Familienbäumchens herauszulesen.
Wenn an dem alten Bäumchen ein Ast eingeht, dann steht, einem Aberglauben zufolge der Familie, der das Bäumchen gehört, Unglück bevor. Aus diesem Grunde kümmert sich das Familienoberhaupt darum, dass der trockene Ast bald durch Hinzuveredeln ersetzt und damit das frühere Aussehen des heiligen Familienbäumchens aufs Neue hergestellt werde. Wenn dies gelingt, ist es für die ganze Familie und die Verwandtschaft ein freudiges Ereignis.
Oft wird behauptet, daß diese Zwergbäume getreue Nachahmungen der in Japan im Freien wachsenden Bäume sind. Viele japanische Nadelhölzer unterscheiden sich dadurch von unsern europäischen, dass sie viele Knoten und Äste haben und dass Stamm und Äste stark verkrümmt sind. Aus diesem Grunde trachten die Japaner mit allen, auch gewaltsamen Mitteln, dadurch den ursprünglichen Anblick eines normalen, in der Natur frei wachsenden Baumes auch bei ihrem Familienbäumchen zu erzielen. Diese Methode lässt sich unter anderen anwenden bei Wacholder, Kiefer, Ceder, Ahorn, Ginkgo und Efeu.
Es ist bekannt, dass die Japaner sehr fleißig und regsam sind. Alle lieben sie die Natur mehr als andere Nationen, und darum zeichnen sich auch ihre Blumenliebhaber und Gärtner durch besondere Geschicklichkeit, Fertigkeit und Geduld aus, denn gerade bei der Heranzucht dieser Zwergbäume ist Geduld eine unentbehrliche Eigenschaft.“
Jetzt wird es philosophisch, wenn uns Camillo Schneider, einer der großen Pflanzenwissenden unseres Landes, seine Gedanken mitgibt. Mit Karl Förster hat er auch manchen Artikel in der „Gartenschönheit“ veröffentlicht. Diese sind ein Genuss und man sollte sie vielleicht 2- oder 3mal lesen und zwischendurch ein wenig das Gesagte bedenken. Im Jahre 1926 stellt er „Japanische Miniaturgärten“ von der Frühjahrsschau in Haarlem vor:
„Diese Nadelhölzer werden in sehr grotesken Formen nach ganz bestimmten Vorbildern gezogen. Unterliegt doch im japanischen Garten alles genauen, seit alters gültigen Regeln, deren tieferer Sinn uns Westeuropäern kaum faßbar ist. So sind denn auch die Formen dieser Miniaturgärten keine willkürlich gewählten, wenn sie von Japanern selbst hergestellt wurden. Jedes Motiv und Motivchen ist auf das andere abgestimmt und zum Ganzen in bestimmte Beziehung gesetzt.
Wir empfinden ja nur den Gesamtreiz, die malerische Wirkung der gesamten Anordnung. Wir staunen auch über die Fülle der Einzelheiten und wundern uns immer wieder, wie so manches davon zustande kam. Aber für die eigentliche Bedeutung des Ganzen fehlt uns der japanische Gartensinn. So ahmen wir denn im Garten, wie auch jetzt häufig bei Kakteen-Anordnungen in Schalen, diese japanischen Miniaturgärtchen nach. Es sind aber ganz andere Motive, die uns bei der Anordnung leiten. Wir halten uns lediglich an das Formale.
Für den Ostasiaten mit seiner viel älteren und viel durchgebildeteren Gartenkultur sprechen viel stärker seelische Momente, ja religiöse Einflüsse mit. Dies dürfen wir nicht vergessen, wenn wir diese uns zunächst spielerisch anmutenden Arrangements sehen. Sie werden auch bei uns zuweilen nachgeahmt, doch ist es hier nicht möglich, das echte alte Material dazu zu bekommen, das in Japan mühevoll herangezogen wird. Wer sich in die Einzelheiten vertieft und der Bedeutung all der kleinen Beigaben nachzugehen versucht, dem erzählen diese Miniaturgärten von einer anderen, uns leider nur zu fremden Welt, in der Blumen und Pflanzen eine weit stärkere Rolle spielen, als es bei uns der Fall ist. Dort sind sie wirklich verwoben mit dem Denken und Fühlen des Volkes. C. S.“
Bei der Vorstellung der Stuttgarter Ausstellung von 1911 wiesen wir bereits auf die Sammlung japanischer Zwergbäume des Herrn Geheimen Hofrat Prof. Dr. Baelz hin. Dieser wird in „Möllers Deutscher Gärtner-Zeitung“ wie folgt charakterisiert und seine Motive beschrieben:
„… aus der Sammlung des Herrn Geh. Hofrat Professor Dr. Baelz in Stuttgart, eines ebenso begeisterten, wie feinsinnigen Kenners japanischer Gartenkunst, der sich nicht der Mode wegen, sondern aus Freude am Aufsuchen und Nachgehen der philosophischen und ethischen Fragen, mit denen die japanische Gartenkunst und die japanischen Pflanzen- und Blumenzusammenstellungen eng verbunden sind, mit dem Sammeln und Pflegen dieser seltsamen Gewächse beschäftigt. Wir Gärtner würden klüger und weitblickender handeln, wenn wir, anstatt die dem deutschen Gefühl und dem europäischen Denken zunächst ja fremde Gewächse abfällig zu beurteilen, dazu beitrügen, sie dem gebildeten Pflanzenliebhaber näher zu bringen. Der verfeinerte Geschmack verlangt eben stets etwas Komplizierteres als der der Menge.“
Zwei Jahre davor- 1924 – schreibt Camillo Schneider ebenfalls in der „Gartenschönheit“ über japanische Gartengestaltung und Zwerggewächse. Er zitiert einen Herrn Conder, der den Naturbeobachter warnt,
„… die wirkliche Landschaft zu realistisch zu kopieren. Der Gartengestalter soll wohl, gleich dem Maler, die Natur auf das sorgfältigste studieren, aber auch im Garten muß das fertige Werk die Aenderungen und Einschränkungen zeigen, die dem Künstler die Regeln seiner Kunst vorschreiben. Künstlerische Tradition bedeutet dem Japaner viel mehr und etwas ganz anderes als dem Europäer.
Wir stehen all diesen Dingen an sich unbefangener gegenüber, unsere Kunst, unser Leben ist nicht so innig verwoben damit. Wir sind daher gar nicht imstande, die Natur so auszudeuten, wie es der Japaner tut, dessen Kunstseele in uralte Traditionen eingesponnen ist. Vieles muß uns sinnlos, abergläubisch anmuten. Aber doch nur, weil wir den Sinn nicht verstehen, das japanische Gartengedicht weder völlig nachempfinden noch richtig übersetzen können. Wir sehen in vielen japanischen Gärten vor allem das Kleinliche.
In der Tat gibt es ja auch, wie Hearn es schildert, wirkliche Miniaturgärten. Solche Gärten in einem Gefäß, das vielleicht kaum größer ist als eine Fruchtschale, heißen koniva oder toko – niva. In einem solchem toko – niva sind winzige Hügel aufgerichtet, mit winzigen Häuschen darauf, da sind auch mikroskopische Weiher und Flüßchen, von kleinen, niedlichen Brückchen überspannt; und wunderliche Zwerggewächse figurieren als Bäume und seltsam geformte Kiesel als Felsen. Solche Darstellungen bilden entzückende lebende Modelle einer japanischen Landschaft.“
Auch wenn wir immer noch historische Artikel betrachten, sind diese thematisch doch spätestens jetzt hochaktuell und zukunftsweisend. Hierzu gut passend sei noch Ernst Boerschmann zitiert, der 1923 in seinem Buch „Baukunst und Landschaft in China – Eine Reise durch 12 Provinzen“ berichtete:
“ und doch weiß auch der Chinese, daß die Auflösung, der wir entgegengehen, kein Auslöschen ist, vielmehr die Lösung des Rätsels bringt und die Quelle der Kraft bedeutet, für uns und unsere Kinder. Die lange und reiche Geschichte der Chinesen, ihre bleibenden Werke des Geistes und der Kunst beweisen, daß sie sich mit der Entsagung allein nicht zufrieden gaben, vielmehr immer freudig das Leben bejahten und begehrten, doch ihre Kräfte stets aufs neue schöpften aus der Stille der Natur, aus der Einsamkeit, aus geistiger Verklärung. Auch für sie gilt das Wort des deutschen Dichters, der unser Verstehen des Lebens mit der Weisheit des Ostens zu einer letzten menschlichen Wahrheit verband: „Nur wer die höchste Unwirklichkeit erfaßt, wird die höchste Wirklichkeit gestalten“.“
Wenn es um den Sinn und die Ästhetik von Bonsai in unserer heutigen Zeit geht, verzichten wir nie auf einen Text aus dem Jahre 1929 von Tsuneyoshi Tsudzumi. Herausgegeben vom Japan- Institut Berlin schrieb er in seinem Buch „Die Kunst Japans“ auch einen Abschnitt über Topfpflanzenanzucht. Hier lesen wir:
„Das Bonsai ist ungefähr die Gartenkunst im kleinsten Format und hat auch einen ähnlichen Entwicklungsgang durchgemacht … Was die Malerei in Landschaftsbildern darstellt, will das Volk hier plastisch nachbilden, indem es sich ungeheuere Mühe gibt, die durch die Beschränkung des Maßes entstehende Unnatürlichkeit zu überwinden. Man kann eine Kunst einigermaßen daran erkennen, dass sie ihren Ursprung nicht im Bedarf hat. Die bloße Sehnsucht nach der idealen Landschaft mag die Topfpflanzenkunst hervorgebracht haben, obwohl das Volk an der Gartenkunst sein Genüge hätte finden können. Es ist also interessant, daß diese Kunst etwa zur gleichen Zeit mit der Gartenkunst erschienen ist, wenn auch ihre Entstehungszeit sich nicht genau feststellen lässt …
Man teilt die Topfpflanzen gewöhnlich in zwei Gruppen, nämlich in ordentliche und außerordentliche. Was heißt das: Außerordentliche ? Es sind diese nicht gerade unnatürlichen Pflanzen, wenn sie sich auch oft der Unnatürlichkeit nähern. In der Tat übt die Natur selber ab und zu auf einzelne Bäume besondere Einflüsse aus, so daß sie vom natürlichen Gedeihen abgelenkt werden und gleichsam plastische Formen gewinnen.
Die außerordentliche Topfpflanze soll eigentlich die Nachahmung derartiger Erscheinungen sein, aber der Dilettantismus, der besonders auf diesem Kunstgebiet eine große Rolle spielt und sozusagen in allen Winkeln lauert, übertreibt gern solche Anomalien und macht sein Werk zum Gegenstand der Neugierde. Wie es auf jedem Kunstgebiet der Fall ist, bevorzugen diejenigen Leute, die die Kunstbedeutung der Topfpflanzen nicht richtig verstehen, meistens die außerordentliche Gattung. Übrigens hat diese keine bestimmten Formen und sogar selten einen Kunstwert, so könne wir ruhig von ihr absehen. „
In diesem letzten Abschnitt ist eigentlich alles gesagt, was man den vielen „Spinnern, Besserwissern und Selbstdarstellern“ der heutigen Bonsaiszene zurufen möchte. Bei Bonsai ist es nicht anders als auf anderen Gebieten: Erst muss das Handwerk beherrscht werden. Und das geschieht nur durch jahre- und jahrzehntelange Übung. Nur dann kann sich der Gestalter auch einmal von der natürlichen Bauform lösen und das Außergewöhnliche suchen.
Es ist gut, wenn es ein Japaner ist, der darauf hinweist. Auch ist es einfach nicht richtig, wenn man immer nur die japanischen Formen wie eine Bibel vor sich her trägt und versucht, unsere heimischen Bäume in dieses Korsett zu zwängen.
In der „Bonsai – Art“ Nr. 81, Ausgabe 1/ 2007, ab Seite 60 sehen wir, wie unsere heimische Kiefer zu einem japanischen Baum umgestaltet wird, statt die Altersform dieser Baumart zu gestalten. Im gleichen Heft finden wir aber auch, und zum Glück aus dem Munde eines berühmten Japaners, Masahiko Kimura (ab Seite 46): “ Zu gestalten, ohne mich um die Stilform sorgen zu müssen, ist ein Vergnügen.“ Dazu gehört aber unbedingt der Satz von weiter unten: “ Zunächst werden die grundlegenden Techniken unterrichtet, gelernt und umgesetzt, dann entwickelt man sich weiter, bis man zu Arbeiten kommt, die in kein Schema passen.“ Und abschließend sei von ihm noch der Satz zitiert: “ Natürlich muss man schon ein Gefühl für die Natur haben, sie empfinden können.“
Diese Verfechter der „reinen Lehre“ aber, die nur die strengen japanischen Formen im Auge haben und daran alles messen, oftmals ohne die geringste Ahnung der religiösen Hintergründe, gehen mit einer unbeschreiblichen Intoleranz durchs Leben. In deren Augen sehen unsere Zuschendorfer Bonsai, die wir recht natürlich zu gestalten versuchen, nur liederlich und ungepflegt aus. Welchen Schluss können wir aus allem ziehen? Wir sehen, dass unsere Vorfahren schon beachtliches Bonsai- Wissen angehäuft haben. Wir sehen auch, es ist alles im Fluss…
Wie soll man nun einen solchen Bericht beenden? Am besten man lässt den Dichter sprechen! Hermann Hesse in einem Brief im Jahre 1959, der sich auf das Jahr 1927 bezieht:
“ Als ich fünfzig wurde …Festmahl …in Sorengo …nach Tisch stieg man zur Casa Camuzzi hinauf … zum ersten Mal war Ninon mit dabei …Unter meinen Geschenken war von Ninon ein japanisches Zwergbäumchen, winzig und putzig in seinem Topf, das Bäumchen habe ich dann ein paar Jahre später beim neuen Haus ins Freie gepflanzt, da ist es gewaltig groß und dick geworden …
Da wir leider nicht in der Lage sind individiuelle Anfragen zur Pflege Ihrer Bonsai zu beantworten, bieten wir Ihnen hier ausführliche Pflegehinweise.